Selbstmitgefühl und Achtsamkeit

Die Verhaltenstherapie wurde in den letzten Jahrzehnten beständig weiterentwickelt. Drei neuere, wissenschaftlich gut fundierte und sehr hilfreiche Ansätze will ich Ihnen hier vorstellen:

Zunächst die „compassion focused therapy“, welche das Mitgefühl, und da insbesondere das Selbstmitgefühl in den Vordergrund rückt. Der Ansatz verbindet Teile der kognitiven Verhaltenstherapie, der Sozial- und Neuropsychologie, sowie des Buddhismus miteinander.

Selbstmitgefühl- sich selber so annehmen, wie man ist, mit all seinen Schwächen und Fehlern. Das klingt sehr einfach, ist es in der Regel aber gar nicht. Wie oft sind wir uns gegenüber der größte Kritiker? Wie laut ist die innere Stimme, die uns für alles verurteilt, was wir zu schlecht, zu wenig oder falsch gemacht haben? Die Folgen dessen sind häufig eine beständige Unzufriedenheit, Gereiztheit, Unfähigkeit mit Kritik von außen umzugehen oder auch eine große Verzweiflung, wenn man seinen Ansprüchen nie gerecht wird.

Und dabei ist niemand von uns perfekt. Jeder hat seine Stärken wie auch seine Schwächen. Wie schön wäre es, sich beständig sagen zu können: „Ich darf so sein, wie ich bin. Mit all meinen guten wie auch schwierigen Seiten. Ich muss mich gar nicht ändern. Und ich muss nicht alles an mir lieben.“

Selbstmitgefühl meint auch, alle Teile in uns annehmen und akzeptieren zu können, die guten wie die weniger guten. Ohne dabei blind zu werden für seine schwierigeren Seiten, die einem im Weg stehen können.

Selbstmitgefühl bedeutet mit Freundlichkeit, Wohlwollen, Milde und Güte auf sich selber zu schauen. Es ist eine innere Haltung, wie man sich selber begegnet. Nicht so sehr ein Gefühl.

Ein erster Schritt kann sein, diesen inneren Kritiker einmal wahrzunehmen, wann immer seine Stimme laut wird. Oftmals fällt uns dieser nicht einmal mehr auf, weil er uns so vertraut und selbstverständlich geworden ist.

Und es gibt nicht nur den inneren Kritiker in uns, sondern auch den Antreiber, der beschlossen hat, dass wir nie genug machen und dass immer noch mehr geht. Oder den Rechtmacher, der von uns verlangt, dass wir anderen beständig gefallen müssen und uns allen anpassen müssen um Streit aus dem Weg zu gehen. Diese Seite ist auch dafür verantwortlich, dass wir meist unsere Bedürfnisse gar nicht mehr wahrnehmen, sondern sie eher unterdrücken. Oft sind unsere Bedürfnisse auch überlagert von Wünschen oder Ideen anderer oder von Moden, die gerade angesagt sind.

Hilfreich kann es sein, für diesen Kritiker/Antreiber/Rechtmacher einen Namen zu finden um jedes Mal, wenn wir diese wahrnehmen, uns ein Stück weiter distanzieren zu können.

Wie man zu mehr Selbstmitgefühl findet? Eine wichtige Frage ist sicher, was man sich in schwierigen Situationen oder auch im Alltag gutes tun kann, wenn man es gut mit sich selber meint. Wenn man freundlich zu sich selber ist, was würde man hier und dort zu sich sagen?

Ein wichtiger Punkt ist sicher auch, unliebsame Gedanken und Gefühle zuzulassen und sich mit diesen auseinanderzusetzen. Normalerweise sind wir darauf ausgerichtet, solche Gedanken möglichst schnell zur Seite zu schieben und sie vielleicht sogar zu verleugnen. Mit einem guten Selbstmitgefühl, einer guten Annahme meiner Selbst, kann ich auch darauf schauen, diesen Gedanken und Gefühlen nachgehen, ohne mich dafür zu verurteilen. Es ist ein Wahrnehmen ohne Bewertung- also ganz wie wir es von der Achtsamkeit kennen.

Neff beschreibt in ihrem Buch „Selbstmitgefühl“ drei Bestandteile dieses:

  • Freundlichkeit gegenüber sich selber – der verständnisvolle Umgang mit sich selber anstatt der ewigen inneren Kritik und der andauernden Verurteilungen
  • zum zweiten die Annahme der Verbundenheit mit der Menschheit – ich bin allermeist nicht die einzige, die negative Gefühle und Erfahrungen kennt, bzw. teilt manche Erlebnisse mit vielen anderen
  • zum dritten die Achtsamkeit – alle Emotionen und Erfahrungen sollen gleichgewichtig wahrgenommen werden, gute wie schlechte. Unser Gehirn ist allerdings aus der Evolution darauf ausgerichtet, negative Erfahrungen besonders intensiv wahrzunehmen und diese stärker zu gewichten als positive.

Immer wieder wird kritisch das Selbstwertgefühl betrachtet. Früher wurde dieses als sehr wichtig eingestuft. So meinte man, dass ein gut ausgeprägtes Selbstwertgefühl vor Depressionen, Ängsten, psychischen Erkrankungen im Allgemeinen schützen würde, und dass Personen mit einem hohen Selbstwertgefühl mehr soziale Kontakte und Freunde hätten, erfolgreicher und attraktiver wären. Doch dem ist nicht so. Das Selbstwertgefühl hängt stark davon ab, wie ich von anderen eingeschätzt und gesehen werde. Bekomme ich beispielsweise eine schlechte Note, so kann dies an meinem Selbstwertgefühl nagen. Neff unterscheidet einen gesunden und einen ungesunden Weg zu mehr Selbstwertgefühl. Der ungesunde wäre die Herabwürdigung anderer Personen um den eigenen Selbstwert nicht zu gefährden. Ungesund wäre auch, Kinder und Jugendliche bedingungslos für jegliche Leistung zu loben. Ein gesunder Selbstwert oder auch ein gutes Selbstbild richtet sich nach Erfolg und Misserfolg und hält beidem stand. Dadurch schließt sich auch wieder der Kreis zum Selbstmitgefühl- dieses respektiert, dass sich alle durch Stärken und auch Schwächen auszeichnen, und dass dieses gleichzeitig zutage treten können. Ohne diese zu beurteilen oder zu verurteilen werden diese akzeptiert und so angenommen. Sowohl bei einem selber als auch bei anderen Menschen. Dadurch können Personen mit einem guten Selbstmitgefühl gut mit Erfolgen ebenso wie mit Misserfolgen umgehen.

 

Achtsamkeit

Achtsamkeit bedeutet die Wahrnehmung und die Akzeptanz des gegenwärtigen Augenblicks ohne Bewertung. Gedanken, Wahrnehmungen und Emotionen, die gerade aufkommen, werden wahrgenommen und ziehen vorüber. Das Wahrnehmen von Unzulänglichkeiten löst meist automatisch Kritik in uns aus. Hilfreicher und selbstmitfühlender wäre es, nicht nur das „Versagen“, sondern vor allem den Schmerz dahinter wahrzunehmen um auf diesen freundlich zu reagieren. So zum Beispiel, wie Neff beschreibt, werden wir im Falle eines Autounfalls sehr viel Zeit mit dem Problemauflösen verbringen- Anrufen der Versicherungsgesellschaft und der Autowerkstatt- anstatt auch zu schauen, welchen Schmerz wir gerade erleiden und wie wir auf diesen adäquat reagieren können. Allzu oft laufen wir vor schmerzhaften Gefühlen davon, anstatt uns auch diesen anzunehmen und zu widmen. Und letztendlich uns den nötigen Trost zu spenden, den wir in dieser Situation brauchen.

Wichtig ist es auch, so Neff, zwischen dem Gewahrsein und dem Inhalt zu unterscheiden. Ich nehme gerade wahr, dass ich unruhig bin. Aber ich sollte mich nicht über diese Unruhe definieren. Die achtsame Wahrnehmung erlaubt uns, dann innezuhalten und einmal diesem Gefühl nachzugehen, bevor wir uns in die Problemlösung stürzten. Meistens sind wir sehr rasch bei dieser und verdrängen die Emotionen. Neff geht sogar so weit, dass sie die Gleichung aufstellt: Leiden bedeutet Schmerz mal Widerstand. Im Leben erlebt jeder von uns Schmerzen- körperliche, psychische, Enttäuschungen, etc. Doch wird der Schmerz nicht dadurch noch schlimmer, wenn wir uns dagegen sträuben? Wenn wir diese Umstände so nicht haben und erleben wollen? Etwas verändern wollen, dass sich nicht verändern lässt? Achtsamkeit kann auch dazu führen, Realitäten annehmen zu können, welche nicht zu ändern sind. Und solche Realitäten sorgsam zu ändern, zu welchen ich etwas beitragen kann. Die große Kund besteht darin, diese beiden voneinander zu unterscheiden. Der Schmerz lässt sich nicht aufhalten, das Leiden unter diesem möglicherweise schon. Achtsamkeit soll also auch eine gewisse Distanz zu eigenen Gedanken, Gefühlen und Verhaltensweisen ermöglichen, um damit neue Perspektiven zu ermöglichen.

Nach:

Andreas Knuf: Sei nicht so hart zu dir selbst. Selbstmitgefühl in guten und miesen Zeiten.

Kristin Neff: Selbstmitgefühl. Wie wir uns mit unseren Schwächen versöhnen und uns selbst der beste Freund werden.

Dennis Tirch: Selbstmitgefühl als Weg durch Angst und Panik.