Es ist ein besonderes Buch über das Selbstmitgefühl, das Neff gelungen ist. Sie selber lehrt an University of Texas in Austin Psychologie und Persönlichkeitsentwicklung und forscht seit 10 Jahren zu dem Thema Selbstmitgefühl. Das Buch ist einerseits sehr verständlich und praxisnahe geschrieben. Dann beschreibt sie jeweils am Ende von diversen Kapiteln sehr persönliche Erfahrungen und Herausforderungen in ihrer Lebensgeschichte, welche die Hinwendung zu dem Thema erklären sollen. Es ist eine Selbstoffenbarung und „bestätigt“, dass jede und jeder seine und ihre leidvollen Erfahrungen macht und Leid erlebt.
Das ist auch schon eine der drei Bestandteile des Selbstmitgefühls. Wie entsteht dieses? Zum einen geht es um Freundlichkeit gegenüber sich selber. Der ewige Kritiker in uns soll hinterfragt werden und gegen eine wohlmeinende, anerkennende und unterstützende Stimme ausgetauscht werden. Zum zweiten geht es um das Gefühl der Verbundenheit, das beschreibt, dass sich alle durch Stärken und Schwächen auszeichnen, wie auch dass jeder auf seine Art und Weise leidvolle Erfahrungen macht, aber mit diesen nicht alleine ist, da jeder von uns Leid kennt. Zum dritten braucht es Achtsamkeit. Einen achtsamen Umgang mit den eigenen Gefühlen, positiven wie auch negativen. Schmerzvollen Erfahrungen nicht auszuweichen, sondern diese auch zuzulassen und sich selber Trost zu spenden wie es ein guter Freund, eine gute Freundin machen würde.
Unser Gehirn ist darauf ausgerichtet, negative Emotionen in besonderer Art und Weise wahrzunehmen und auf diese besonders gut einzugehen. Allerdings widmen wir uns dann sehr schnell dem Problemlösen zu, anstatt den negativen Emotionen nachzugehen und sich selber Gutes zu tun.
Eine Besonderheit des Buches sind die Kapitel zu Selbstmitgefühl in der Erziehung von Kindern und Selbstmitgefühl in der Liebe und Sexualität.
In der Kindererziehung wäre es als Eltern besonders wichtig, die eigenen Gefühle und Wahrnehmung zu benennen und auszudrücken. Ebenso wie heruntermachende und abwertende Stimmen gegenüber der Kinder zu unterlassen. Diese Stimme kann später zum schlimmsten inneren Kritiker der Kinder werden. Auch wäre ein wichtiger Punkt, als Eltern Fehler zugeben zu können. Das zeigt Eltern verletzlich und macht sie menschlich. Auch können Kinder am Vorbild am ehesten den Umgang mit Fehlern lernen. Sowie einen selbstmitfühlenden Umgang mit sich selber am Vorbild der Eltern lernen.
In der Partnerschaft macht sich der selbst- und mitfühlende Umgang besonders in Konfliktsituationen bemerkbar. Oftmals werden in Konflikten die eigenen Standpunkte hervorgehoben und gegen den anderen gerichtet. Hilfreicher wäre es, die Bedürfnisse des Partners wahrzunehmen und dieses auszusprechen. Ebenso wie seine eigenen Bedürftigkeiten zuzulassen und offen zu legen. Studien ergeben diverse Vorteile von selbstmitfühlenden Personen in der Partnerschaft: sie sollen fürsorglicher sein, haben mehr Zugehörigkeit, zeigen mehr Zuneigung, sprechen bereitwilliger Partnerschaftskonflikte an, etc. Ein Grund dafür dürfte wohl darin liegen, dass selbstmitfühlende Personen andere eher annehmen und akzeptieren wie sie sind und diese weniger verurteilen.
Ein spannender Aspekt von Neff ist auch, dem „Selbstmitgefühl“ die „Selbstwertschätzung“ gegenüber zu stellen. Sie beschreibt, dass das eine die Kehrseite der Medaille des anderen ist. Gilt es den eigenen Schwächen mit besonderem Selbstmitgefühl zu begegnen, so ist es auch wichtig, die eigenen Stärken auf natürliche Art und Weise wertzuschätzen- mit einem Gefühl der Selbstwertschätzung. Anders als beim Selbstwertgefühl definiert man sich weder als gut oder schlecht, sondern schätzt die besonderen Eigenschaften so wie sie sind. Und sieht auch gleichzeitig die Durchschnittlichkeit, die jeder von uns mit sich trägt. Selbstwertschätzung umfasst alles in uns, was gut und heilsam ist, innerlich wie äußerlich, wie Neff beschreibt. Allzu oft sind wir auf die kritischen Ereignisse oder negativen Lebenserfahrungen konzentriert, anstatt auch das wertzuschätzen, das vielleicht nicht so besonders, aber dennoch glücklich macht- wie zum Beispiel eine heiße Dusche nach einem kalten Wintertag. Forscher fanden heraus, dass es auf die Einstellung ankommt, die man auch alltäglichen Dingen entgegenbringt, um sich glücklich zu fühlen. Eine besondere Anregung der Autorin- ein Dankbarkeitstagebuch zu führen, in welchem man jeden Tag etwas Neues beschreibt, für das man am Ende des Tages dankbar ist. Dieses soll zu mehr Glücksgefühlen verhelfen.
In diesem Buch werden sehr viele interessante Aspekte und Themen angesprochen- auch das viel besprochene Selbstwertgefühl. Dabei werden zahlreiche Studien wie nebenbei von Neff beschrieben und belegen die intensive Forschung hinter diesem aufstrebenden Thema.